«Ein ranghoher, namhafter Schweizer Beamter trägt einen falschen Doktortitel.» So titelte eine grosse Schweizer Tageszeitung vor einiger Zeit. Konkret ging es um einen Direktor eines Bundesamtes mit seinem nicht-wissenschaftlichen Titel. So wie er haben viele Schweizer Manager und Wissenschaftler im angelsächsischen Raum ein Doctorate of Business Administration, kurz DBA, abgeschlossen. Damit darf man sich zwar im Studienland Dr. nennen, nicht aber in der Schweiz – das sagt jedenfalls Swiss Universities. Was ist interessant an diesem Artikel und was hat das Thema mit KMU-Marketing zu tun?
Erstens: Wer sagt, dass praxisorientierte Abschlüsse weniger Wert sind?
Um einen Doktortitel tragen zu dürfen, verlangt das höchste akademische Organ der Schweiz, die Rektorenkonferenz der Hochschulen Swiss Universities, «wissenschaftliche Kompetenz durch einen persönlichen und originären Beitrag zur Forschung». Ein DBA dagegen ist praxisorientiert. Darum bezeichnet Swiss Universities das Tragen des Dr.-Kürzels als «irreführend». Nehmen wir also an, jemand macht eine Erstausbildung in der Praxis und besucht kein Gymnasium. Mit diesem Schritt hat er in jungen Jahren die Türe zum universitären Weg schon praktisch geschlossen. Nehmen wir weiter an, unsere Beispielperson schliesst seine Lehre ab und macht direkt nachher eine Berufsmatur. Anschliessend macht er auf dem Weiterbildungsweg einen eidgenössischen Fachausweis – beispielsweise als Marketingfachperson. Danach hängt er noch die höhere Fachprüfung zum Marketingleiter an. Zu guter Letzt macht er einen Weiterbildungsmaster (Master of Advanced Studies MAS oder EMBA). Auf dieser Basis könnte er sich nun für einen Doctorate of Business Administration DBA einschreiben. Während der ganzen Zeit von Aus- und Weiterbildung war unsere Beispielperson in der Praxis – sie hat gearbeitet. Was diesen Weg weniger wertvoll macht als ein Vollzeitstudium, ist mir ehrlich gesagt schleierhaft.
Zweitens: Wer hat eigentlich noch den Überblick über die Titel und Abschlüsse in der Schweiz?
Nehmen wir nur einige Abschlüsse im Bereich Marketing. Es gibt hier beispielsweise die eidgenössische MarKom-Zertifikatsprüfung, den Marketingfachausweis, den Marketingleiter, daneben auch noch den Marketingmanager HF, MAS Marketing Management. Hinzu kommen noch eine Vielzahl von betriebswirtschaftlichen Abschlüssen, die auch einen schönen Rucksack an Marketingwissen mit sich bringen – wie beispielsweise folgende: Betriebswirtschafter HF, Betriebswirtschafter NDS HF, Unternehmensleiter NDS HF, Fachmann Unternehmensführung KMU, Höheres Wirtschaftsdiplom HWD, Betriebsökonom FH.
Wenn ich mit Unternehmern im Gespräch bin – notabene solche, die Personalentscheidungen selber treffen, stelle ich oft folgendes fest: Es ist heute fast unmöglich, den Wert aller Abschlüsse und Titel zu kennen. Zu Recht, wie dieses persönliche Beispiel zeigt: Ich habe selber jahrelang Betriebswirtschafter HF und Betriebswirtschafter NDS HF unterrichtet: Die Studenten haben fast 3 Jahre ihres Lebens und viel Geld in eine Weiterbildung investiert. Schlussendlich hatte das Institut eine Erfolgsquote von 98%, wenn die Repetenten eingerechnet wurden 100%. Konkret hatte jeder nachher den gleichen Abschluss in der Hand – egal ob er sich nur in den Unterricht reingesetzt oder ob er wirklich Gas gegeben hat. Einige dieser Studenten aus dieser Zeit hätte ich sofort selber angestellt oder einem Kunden empfohlen. Andere hingegen konnte ich mir nicht einmal als Reinigungsfachkraft vorstellen – aber alle hatten den gleichen Abschluss.
Und was ist die Auswirkung dieser Vielzahl an Ausweisen, Diplomen und Titeln? Schlussendlich werden wieder mehr Mitarbeiter mit Erfahrung angestellt und solche, wo es menschlich stimmt. Und dann wird on the job entschieden, ob es funktioniert oder nicht. Hinzu kommt noch ein zweiter Faktor – und hier schliesst sich leider der Kreis zum Thema akademische Titel. Diese bekommen durch den Wildwuchs der Weiterbildungstitel tendenziell Aufwind.
Seit 20 Jahren mehrmals jährlich
weitergebildete Grüsse
Martin Aue