Stell dir folgende Situation vor: Ein grosses Energieunternehmen positioniert sich um. Der Konzern betreibt ein riesiges Tankstellennetz und ist zudem führend im Schmierstoffmarkt. Was wird verändert? Der ganze optische Auftritt ist neu; das Logo ist in verschiedenen Grün-Tönen gehalten und macht einen jungen, frischen und natürlichen Eindruck. Alle Gestaltungen von Print- und digitalen Werbemitteln kommen ebenfalls in grün und grau daher. In der Bildwelt setzt man trotz dem Kerngeschäft mit Diesel und Benzin konsequent auf Natur- und Pflanzenmotive. Auch die Tankstellen erhalten eine neue Optik und als Kunde hast du eher das Gefühl in einen Bioladen einzutreten, als in einen Tankstellenshop. In der Werbung setzt man voll auf die Karte Energieeffizienz, indem beispielweise eine Mitarbeiterin des deutschen Wetterdienstes mit folgender Aussage zitiert wird: „Entweder wir ändern uns oder das Klima wird sich noch schneller verändern.“
Hast du eine Idee, von welchem Unternehmen ich spreche? Einige Zeit später – als der neue Marketingauftritt voll griff – kam es bei einem Unfall auf einer Bohrplattform des Unternehmens zur Katastrophe. Infolge verschiedener schwerer Versäumnisse trat plötzlich unkontrolliert Erdöl aus, die Plattform geriet in Brand und ging infolgedessen zwei Tage später unter. Das ausströmende Öl führte zur Ölpest im Golf von Mexiko, der schwersten Umweltkatastrophe dieser Art in der Geschichte. Im November 2012 akzeptierte das angesprochene Unternehmen die vom US-Justizministerium infolge der Ölpest auferlegte Strafe von 4,5 Mrd. US-Dollar – die höchste jemals verhängte Strafe für ein Umweltdelikt.
Der Aufschrei auf der ganzen Welt war riesig – wegen der Umweltkatastrophe, aber auch, weil uns vorher ein ganz anderes Bild aufgebaut wurde.
Was ist aus Marketingsicht falsch gelaufen? Das vermittelte Bild war sehr weit von der Realität entfernt und aufgrund des Vorfalles wurde das von einem Moment auf den anderen jedem klar. Es hat sich eine Glaubwürdigkeitslücke aufgetan. Das Problem bei diesen credibility gaps ist, dass umso grösser die Lücke, umso härter ist das Aufschlagen, wenn die Wahrheit ans Licht kommt.
Lass uns ein zweites Beispiel machen, welches dich als Kunde unmittelbarer betreffen könnte: Du suchst nach einer guten Lösung in einem bestimmten Problembereich und findest nach einigem Suchen einen Anbieter mit dem wohlklingenden Namen Kompetenzzentrum für Irgendetwas-aber-genau-dein-Problem. Und du rufst dort an. Du erreichst keinen Menschen und bist etwas verunsichert. Nach zwei Wochen erhältst du eine Antwort die semiprofessionell aussieht. Und als du dir den Betrieb live anschauen gehst, findest du eine One-Man-Show vor, die nur in einem kleinen Teilbereich tätig ist und irgendwelche Elemente oder Dienstleistungen verkauft. Auch hier wieder: Eine Glaubwürdigkeitslücke. Was stellst du dir vor, wenn du Kompetenzzentrum liest? Die Firma ist eine Anlaufstelle, die viele Probleme in diesem Bereich lösen kann. Sie verkauft Know-How und vielleicht auch noch breit technische Lösungen, erstellt Expertisen und sie hat auch eine bestimmte Grösse – sonst wäre es ja kein Zentrum.
Auf was will ich hinaus? Klar gehört es in der Werbung dazu, sich so gut wie möglich zu verkaufen. Und ganz ohne Glaubwürdigkeitslücken geht es auch nicht. Aber im Grundsatz ist es doch ganz einfach: Ist bei deinem Angebot auch wirklich das drin, was drauf steht? Hoffentlich schon. Denn wenn nicht kommt es in der heutigen vernetzten Welt so oder so über kurz oder lang heraus.
Glaubwürdige Grüsse
Martin Aue